Internationaler Frauentag Kambodscha Safe House

Interview mit Theavy Bun

Die heute 35jährige Theavy Bun wurde 1982 in Battambang, Kambodscha geboren und leitet das von der NGO AVEC finanzierte Safe House in Battambang. Theavy ist seit 2004 im humanitären Bereich tätig. Sie ist eine besondere Frau und wir möchten mit ihrem Porträt anlässlich  des Internationalen Frauentages unsere Serie an Interviews mit starken Frauen beginnen. Unabhängig von MeToo und anderen Solidaritätsaufrufen, sind es auf der ganzen Welt genau diese starken Frauen, die einen Unterschied machen – und zwar für Frauen als auch für Männer. Es ist uns eine Ehre, dass Theavy sich spontan – und auch sehr kurzfristig – für ein Interview zur Verfügung gestellt hat:

Wie war deine Schulzeit?

Meine Schulzeit begann unter dem furchtbaren Regime der Roten Khmer und während meiner ersten drei Schuljahre wurden noch ganz viele Bomben auf die Stadt geworfen. Die Schule war extrem wichtig für mich, und ich war eine sehr fleissige und motivierte Schülerin, da ich aus einem sehr armen Umfeld stamme, welches stark vom Krieg betroffen war. Ich trug vier Jahre lang die gleiche Schuluniform, die nicht einmal einen Reissverschluss mehr hatte, wofür ich mich den ganzen Tag lang schämte. Unmittelbar nach meiner Matur begann ich zu arbeiten, um meinen Eltern zu helfen und mir eine Zukunft aufzubauen.

Warum hast du dich für die Arbeit im humanitären Bereich entschieden?

Ich war immer schon in Kontakt mit sehr armen Familien, die in einem sehr schwierigen Umfeld unmittelbar nach dem Genozid durch die Roten Khmer um das Überleben kämpften. Tief in mir drinnen, verspürte ich bereits damals den Wunsch, diesen verwitweten oder verlassenen Müttern, die sich tagtäglich abmühten, um ihre zahlreichen Kinder zu füttern, zu helfen. Sehr früh wurde mir bewusst, dass diese bittere Armut nur durch Bildung und Zugang zu Schulen bekämpft werden kann.

Was wolltest du werden als du noch ein Kind warst?

Ich wollte Ärztin werden, damit ich später meine Eltern pflegen hätte können.

Um wie viele Kinder kümmerst du dich?

Auf gewisse Art und Weise bin ich die Mama von den 38 Kindern, die permanent im Safe House leben. Die Kleinste ist 3 Jahre alt und die Grösste bereits 24 Jahre. Das ist auch der Grund, warum ich fast nie in die Ferien gehe – das ist eine Aufgabe, die mich voll und ganz in Beschlag nimmt und auch fast kein Privatleben zulässt. Glücklicherweise teile ich diese grosse Aufgabe und Verantwortung mit meinem Mann. Wir sind sehr froh, dass wir diesen misshandelten Kindern einen sicheren Ort bieten können.  Wir verlangen sehr viel von den Kindern und das ist uns bewusst,  aber ihre Zukunft liegt uns sehr am Herzen und die meisten von ihnen sind in der Schule auch sehr fleissig.

Darüber hinaus kümmere ich mich um den Schulbesuch von ca. 70 Kindern aus extrem armen Verhältnissen mit Eltern, die mehrheitlich Analphabeten sind. Wir betreuen diese Kinder, damit sie die bestmögliche Schulausbildung bekommen.

Weiters kümmern wir uns um ca. 20 Kinder in verschiedenen Dörfern, die bei einem Familienmitglied leben, damit sie eine weiterführende Schule besuchen können.

Ausserdem leben noch zehn junge Frauen im Safe House, die bei uns eine einjährige Schneiderlehre machen.

Wie sieht dein typischer Tagesablauf aus?

Ich komme jeden Tag um 08:00 ins Safe House und bleibe dort bis um 20:00 Uhr – sieben Tag die Woche. Ich kümmere mich um die Organisation des Safe House aber auch um die kleinsten Kinder im Safe House. Ich nehme alle Mahlzeiten gemeinsam mit den Kindern ein, denn für mich ist es sehr wichtig, dass wir Zeit miteinander verbringen und dass ich mich mit den grösseren Kindern unterhalten kann – das sind sehr schöne gemeinsame Momente!

Dein grösster beruflicher Erfolg?

Ich bin sehr demütig, wenn es darum geht, etwas als einen Erfolg zu bezeichnen – denn bei der Erziehung von so vielen Kindern mit traumatischen Erlebnissen gibt es immer wieder Rückschläge. Man muss permanent an den Verletzungen arbeiten, die sie in der Vergangenheit erlitten haben. Was mir dazu sofort einfällt ist, dass es mir gelungen ist, ein Baby und ihre kleine Schwester aus der Hölle zu befreien in der sie lebten und ihnen Tag für Tag an der Aufarbeitung ihres Traumas zu helfen. Vor allem aber, dass sie ihr Lächeln wiedergefunden haben.

Deine grösste Herausforderung?

Die Veränderung der Mentalität der Kinder, die nicht motiviert sind und sich nicht anstrengen wollen, um sich selbst eine bessere Zukunft zu schaffen. Und natürlich auch den misshandelten Mädchen zu helfen, sich wieder aufzubauen und ihr Lächeln wieder zu finden.

Deine grösste Niederlage ?

Dass es mir nicht gelungen ist, einem Kind aus seiner Lage zu helfen und auch, dass ich mehrere kleine Mädchen nicht aus ihren schwierigen Umständen befreien konnte.

Was liebst du an deiner Arbeit am meisten?

Den Kindern gute Werte beibringen und sehen wie sie wachsen und auch wieder lebensbejahend werden. Es freut mich, wenn ich sehe wie die Kinder in die Schule gehen, und dass die meisten von ihnen eine weiterführende Schulausbildung machen wollen. Ich kenne die Geschichte von jedem dieser Kinder, diese unglaublichen Leidensgeschichten, die sie täglich erleben mussten bevor sie zu uns kamen. Ihr Erfolg in ihrem neuen Leben ist ein Stück auch unser Erfolg – der Erfolg der NGO AVEC und ihrer Spender, die darauf sehr stolz sind – und ich auch!

Dein grösster Wunsch an den Weihnachtsmann?

Dass die kambodschanischen Männer, die nach Thailand gehen, um dort zu arbeiten, nicht mehr ihre Kinder und ihre Frauen verlassen. Und dass die Menschen in Kambodscha nicht mehr ihre Abfälle am Strassenrand abladen – dann wäre Kambodscha noch viel schöner.

Deine Hobbies?

Gartenarbeit, Stickerei und Französisch lernen.

Ich arbeite sehr gerne im Garten, denn das beruhigt mich und erlaubt mir meine Gedanken zu ordnen und meine Probleme zu vergessen. Das ist meine Art der Meditation.

Theavy Bun

Theavy – immer mit einem Lächeln im Gesicht!