FGM Weibliche Genitalverstümmelung

Weibliche Genitalverstümmelung – aus der Sicht einer Gynäkologin

Als Gynäkologin mit eigener Praxis bin ich zwar nicht häufig, aber doch immer wieder, mit diesem Thema konfrontiert. Infolge von Zuwanderung aus Gebieten, in denen FGM praktiziert wird, tritt Genitalverstümmelung nämlich auch zunehmend in europäischen Ländern auf.
Es ist wichtig, dass wir auf dieses Thema sensibilisiert sind und wir mehr darüber wissen, um betroffenen Frauen adäquat zu begegnen und nicht aufgrund von mangelnder Erfahrung, innerer Ablehnung und Verurteilung von FGM, Fehlreaktionen entstehen.

Deshalb hier einige wichtige Hintergrundinformationen:

Die FGM (von einigen Autoren auch als weibliche Beschneidung bezeichnet) umfasst die teilweise oder komplette Entfernung oder sonstige Verletzung der äusseren weiblichen Genitalien aus kulturellen oder anderen, nicht therapeutischen Gründen.
Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind mindestens 200 Millionen Frauen weltweit von FGM betroffen. Man geht jährlich von 2 Millionen neuen Fällen aus, meist sind dies Säuglinge, Kleinkinder und junge Mädchen.

Historisches

Der Brauch der FGM existiert seit über 2000 Jahren.
Obwohl häufig religiöse Motive zu seiner Rechtfertigung herangezogen werden, schreibt keine Religion FGM vor. Der Brauch ist älter als das Christentum und der Islam. In den betroffenen Regionen pflegen Muslime, Katholiken, Protestanten, Animisten und Atheisten den Brauch.

Eine grosse Bedeutung haben auch soziale und kulturelle Argumente:

  • Tradition, Initiationsritus
  • Reinheitsgebot
  • Ästhetische Gründe
  • Bewahrung der Jungfräulichkeit
  • Bewahrung der ehelichen Treue
  • Förderung der Fruchtbarkeit
  • Stärkung der Gruppenzusammengehörigkeit

Dies sind nur einige Beispiele, die Liste lässt sich noch beliebig verlängern.

Geographie

FGM wird überwiegend in 28 afrikanischen Ländern südlich der Sahara und selten in einzelnen Regionen Asiens praktiziert. In Nordafrika ist Ägypten das einzige Land, das den Brauch praktiziert.

Formen der FGM

Es werden vier Formen von FMG unterschieden:

Typ 1  Sunna-Beschneidung: Ausschneiden der Vorhaut mit der ganzen oder einem Teil der Klitoris.
Typ 2 Ausschneiden der Klitoris und der inneren Schamlippen oder Teilen davon.
Typ 3 Infibulation: Entfernung der ganzen oder eines Teiles der äusseren Geschlechtsteile und Zunähen der Scheidenöffnung bis auf eine minimale Öffnung, aus der Urin und Menstruationsblut abfliessen kann. Vor Geschlechtsverkehr oder Geburt muss die Narbe wieder geöffnet werden, was zusätzlich Schmerzen verursacht. Dies ist die schlimmste Form von FGM.
Typ 4 Jede andere Prozedur, bei welcher die weiblichen Geschlechtsteile verletzt oder beschnitten werden (Anstechen, Einstechen oder Dehnen der Klitoris oder Ausbrennen oder Verätzen der Scheide).

Die Mehrheit aller Formen (80%) umfasst die Typen 1 und 2. Die Infibulation macht 15% der Fälle aus.

Durchführung der FGM

In der Regel sind es professionelle Beschneiderinnen, die den Eingriff vornehmen. In den meisten Fällen wird der Eingriff ohne Betäubung und ohne sterile Instrumente vorgenommen. Zu den Beschneidungsinstrumenten gehören Messer, Scheren, Rasierklingen, Glasscherben und Skalpelle.
In 70 % der Fälle wird FMG während der Kindheit praktiziert. In manchen Regionen kurz nach der Geburt, in anderen aber auch erst kurz vor der Hochzeit oder während der Pubertät.

Folgen der FGM

Weibliche Genitalverstümmelung hat gravierende physische und psychische Auswirkungen. Nach dem Eingriff kann es zu schweren Blutungen, Entzündungen, Tetanus, Blasenlähmung oder einer Blutvergiftung kommen, Folgen, die nicht selten tödlich enden.
Auch HIV kann über nicht gereinigte Instrumente übertragen werden.
Langfristig klagen Opfer oft über Schmerzen beim Urinieren oder während der Menstruation. Infektionen der Blase und Inkontinenz können auftreten, der Geschlechtsverkehr ist schmerzhaft und es kann auch zu Unfruchtbarkeit kommen.

Interessanter Weise bringen aber die betroffenen Frauen die Folgekomplikationen von FGM häufig nicht mit der genitalen Verstümmelung in Zusammenhang. Dies, da die FGM oft ein weit zurückliegendes Ereignis darstellt und sie dieses Problem mit den meisten Frauen ihrer Umgebung teilen («So ist eben das typische Leben einer Frau»).
Oft stehen bei betroffenen Frauen, die im Westen leben, die psychologischen Probleme im Vordergrund und die FGM kann bei den Betroffenen ein schweres psychologisches Trauma auslösen. Häufig kommt es zu einem Vertrauensbruch gegenüber der Eltern und Grosseltern. Ängste, Depressionen, Paarprobleme oder Psychosen können die Folge sein.

Rechtslage in der Schweiz

In der Schweiz ist FGM strafbar, weil es den Tatbestand der schweren Körperverletzung erfüllt. Dies gilt auch, wenn der Eingriff auf Verlangen der Patientin ausgeführt wird.

Abschliessend möchte ich noch einmal betonen, wie wichtig es im Umgang mit von FGM betroffenen Frauen ist, dass wir nicht nur die medizinische, sondern auch die rechtliche, kulturelle und ethische Problematik erkennen. Konfrontiert mit den Folgen eines Brauchs, den die meisten von uns vehement verurteilen, zeigen wir Betroffenen gegenüber eventuell Reaktionen, die für diese eine neue Quelle der Erniedrigung darstellen können. Das Thema muss also mit grosser Sensibilität angesprochen werden, aber es soll unbedingt angesprochen werden, denn wir müssen die Töchter betroffener Frauen vor dem gleichen Schicksal schützen.

Dr. Elisabeth Lebeda – Bosshard
Gynecologist (FMH)
Dorfstrasse 5
8700 Küsnacht