Afrika Nasaru Lernzentrum

Susi and Manu go to Africa Teil 3

Am 30. Juni 2019 war es wieder so weit. Manu und ich machten uns auf Richtung Flughafen Zürich, um den nun schon bekannten Flug von Zürich nach Nairobi anzutreten. Wie üblich, reisten wir leicht: Wir hatten nur ca. 120 kg Gepäck verteilt auf 4 Koffer dabei.
In unserem Gepäck befanden sich jede Menge gespendete Kleidungsstücke, Wolle, Häkelnadeln, Malfarben und -blöcken sowie jede Menge T-Shirts mit dem Logo für die vier Aktivitäten, die wir im neu erbauten Nasaru – Lernzentrum für Massai-Mädchen lancieren wollen.

Wir kamen abends in Nairobi an und verbrachten einen ruhigen Abend in einem Hotel am Flughafen. Am nächsten Morgen ging es los: Giorgio holte uns ab und wir fuhren Richtung Kitengela, wo wir mit Agnes Gitonga verabredet waren. Ich hatte sie über Vermittlung von Elizabeth Leuenberger – Kajs per Facebook kennengelernt und war schon unglaublich gespannt auf das Treffen.

So fuhren wir dann ziemlich vollgepackt nach Kitengela. Agnes Gitonga hatte mir nur gesagt, dass sie in Noonkopir sei und ich sollte sie doch anrufen, sobald wir in der Nähe wären.  Da es in diesem Augenblick gerade eine Verbindung gab, liessen wir uns von Google Maps leiten. Wir fuhren von der Hauptstrasse auf eine Staubstrasse ab und dann wurde die Gegend immer unwirtlicher. Ich rief Agnes an und mit Hilfe eines zufällig vorbeikommenden Autofahrers konnten wir dann auch ermitteln, wo wir waren. Agnes wies uns an zur Moschee zu kommen. Danach mussten wir nur ca. fünfmal fragen bis wir zur Moschee kamen, wo wir bereits von Agnes erwartet wurden. Sie führte uns dann zu ihrem Zentrum, welches eigentlich aus zwei Teilen besteht: Einerseits das Gibon Women Empowerment Centre, wo Frauen zu Schneiderinnen ausgebildet werden und vor allem auch ihr Selbstwertgefühl gestärkt wird und andererseits eine Schule für die Klassen 1 bis 3 und Schlafstätte für insgesamt 100 Kinder. Bei diesen Kindern handelt es sich ausschliesslich um Kinder, die aus sehr unterprivilegierten Familien stammen. Das heisst, ihre Eltern können nicht einmal das für öffentliche Schulen notwendige Schulgeld aufbringen. Die kleinen Kinder werden von den Eltern als Babysitter für die noch kleineren Kinder missbraucht, anstatt sie in die Schule zu schicken.

Vorher machten wir aber noch einen Zwischenstopp in einem grossen Supermarkt, wo wir ein paar Dinge besorgen wollten. Für die Kinder in Agnes Gitongas Schule besorgten wir einen grossen Karton Äpfel und Orangen, 50 kg Reis, Zucker, WC-Papier und Kekse. Darüber hinaus kauften wir auch noch eine Thermoskanne und einen Warmhaltebehälter für Chapati für eine andere Agnes, nämlich aus Iloshon, die uns letztes Jahr eindeutig zu verstehen gegeben hat, dass sie das unbedingt brauchen würde. 😊.  In der Haushaltsabteilung stiessen wir dann auf zwei schwerbewaffnete Männer und Giorgio wies uns in diesem Augenblick darauf hin, dass Kirchen und Supermärkte beliebte Attentatsziele seien und dieser Supermarkt im Speziellen, da in somalischem Besitz. Unglaublich beruhigt verliessen wir diese Abteilung auf schnellstem Wege.

In der wirklich sehr ärmlichen Umgebung herrscht eine sehr positive Aufbruchstimmung. Man spürt förmlich wie die Powerfrau Agnes es schafft, Bewegung in die Köpfe der anwesenden Frauen und Kinder zu bringen. Sie ist ein grossartiges Vorbild für alle Frauen im Zentrum und hat es mit ihrem unbändigen Willen und ihrem Kommunikationstalent geschafft die Saat für eine ganz wichtige Veränderung zu säen. Wir möchten gerne, dass Agnes nach Iloshon kommt, um auch dort die Mädchen von der Notwendigkeit einer Veränderung zu überzeugen. Wir sind der Meinung, dass es viel besser ist, wenn eine von ihnen das tut und nicht eine Muzungu (weisse Ausländer), die in ihren Augen ja ohnehin keine Ahnung von ihrem Leben hat. Ausserdem möchten wir eine Kooperation mit einer von Agnes ausgebildeten Schneiderin für das Nasaru Lernzentrum eingehen.


Nach einem emotionalen Abschied und dem Versprechen wieder zu kommen, machten wir uns auf den Weg in die nächstgelegene Buchhandlung, um dort die benötigten Schulbücher für Agnes zu bestellen. Der Buchhändler war sehr kompetent und versprach uns, die Bücher zu bestellen.

Nächster Stopp war dann Olpirikata, wo wir eine sehr anschauliche Demonstration eines der Hauptprobleme bekamen: Die Gemeinde hatte uns bereits erwartet und dementsprechend stand das erste Meeting auf dem Programm. Es begann mit einem kurzen Gebet und dann wurden wir vom Dorfältesten empfangen. Dieser hiess uns nicht nur herzlich willkommen, sondern gab uns auch gleich unmissverständlich zu verstehen, dass es jede Menge Probleme innerhalb der Gemeinde gäbe, die wir lösen müssten. Unter diesen Problemen waren: Die Nachbarin der Farm, die ihre Ziegen auf das Gemüsefeld der Farm schickt, wo diese dann das Gemüse auffressen. Eine Frau der Frauenkooperative, die ausserhalb des vereinten Ortes ihren Schmuck verkauft. Das Fehlen einer Ärztin nachdem sie bereits die zweite zum Teufel geschickt hatten. Ich erklärte ihnen dann in meiner Begrüssungsrede, dass wir die Geburtshelfer von Projekten seien und diese auch gerne bis ins Erwachsenenalter begleiten. Dann aber müsse die lokale Bevölkerung die Verantwortung für die Projekte übernommen und alle Probleme im Zusammenhang damit selbst und eigenverantwortlich lösen.
Im Anschluss daran machten wir uns auf, um alle Projekte bzw. deren Fortschritt zu begutachten. Das Ergebnis war etwas ernüchternd, aber fairerweise muss man sagen, dass es immer und überall Anfangsschwierigkeiten gibt und Probleme sind dazu da gelöst zu werden. Die lokalen Projektverantwortlichen sind also aufgerufen, Lösungen zu finden und wir haben versprochen, dass wir für Input und Lösungsvorschläge jederzeit zur Verfügung stehen, allerdings von weit weg die Probleme nicht lösen können. Wir haben die Projektverantwortlichen dann mit klaren, quantitativen Zielen ausgestattet und sie gebeten, regelmässig Feedback über den Fortschritt zu geben.
In diesem Zusammenhang hatte ich dann auch ein sehr aufschlussreiches und interessantes Gespräch mit drei jungen Massai-Männern. Ich habe sie nämlich nach ihren Zukunftsvorstellungen befragt. Einer wollte der Chef einer grossen Firma werden und die beiden anderen sahen sich als zukünftige Shop-Besitzer, wobei nur einer der beiden eine ungefähre Vorstellung davon hatte, was er mit dem Shop eigentlich machen möchte, nämlich einen Handel mit Ersatzteilen. Der andere hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was er denn eigentlich mit einem Shop machen möchte. Hier muss noch viel passieren, und zwar zuallererst in den Köpfen der Menschen!
Am Abend stiess dann Rosaria, eine junge, italienische Freiwillige zu unserer kleinen Truppe. Rosaria wird die nächsten Wochen mit Giorgio gemeinsam die verschiedenen Massai-Gemeinden besuchen, um dort den Pilzbefall auf den Köpfen von vielen Kindern zu behandeln, der anscheinend relativ einfach mit Seife bekämpft werden kann. Darüber hinaus werden sie auch die Augen der Kinder mit einer Salzösung spülen, um damit das Entstehen von Augenentzündungen verursacht durch den feinen Staub idealerweise zu verhindern bzw. zumindest die Symptome etwas zu lindern.
Am nächsten Tag machten wir uns auf in Richtung Iloshon. Die Stimmung dort war überwältigend und wir wurden mit viel Glanz und Gloria empfangen. Man konnte die Aufregung und den Aufbruch richtiggehend spüren.

Wir führten dann intensive Gespräche mit allen Lehrern und vor allem mit Purity, der stellvertretenden Hauptlehrerin, die auch für die Organisation des Nasaru Lernzentrums verantwortlich ist. Mit grosser Freude stellten wir dann fest, dass aus den 16 angemeldeten Mädchen der Vorwoche bereits 82 geworden waren, d.h. dass das Lernzentrum mehr als voll ist, da wir ursprünglich mit 72 Mädchen gerechnet hatten und auch 72 Betten hergestellt worden waren. Wir besprachen kurz das weitere Vorgehen und gingen dann in alle Klassen, um uns kurz vorzustellen und das weitere Programm zu erklären. Da die Mädchen ab sofort viel mehr Zeit zum Lernen haben, da der lange Schulweg entfällt, lancierten wir auch eine neue Challenge für die gesamte Schule. Im Ranking der Schulen des Distriktes (insgesamt 12 Schulen), lag die Schule von Iloshon 2018 an 3. Stelle. Da wir mit einer Verbesserung der Leistung der Mädchen und idealerweise auch der durch die sie herausfordernden Mädchen motivierten Jungs rechnen, ist es das Ziel, dass Iloshon im nächsten Jahr die Nummer 1 wird. Diese Herausforderung haben wir dann auch den Eltern und allen Lehrern vorgestellt und bei Erreichen des Zieles ein grosses Fest mit Reis, Bohnen, Bananen, Fleisch und grünem Kuchen (Wunsch der Kinder – wir wissen allerdings nicht genau, was für ein Kuchen… werden es im Bedarfsfall aber sicher in Erfahrung bringen!) in Aussicht gestellt. Während wir in den unteren Klassen ein zahlenmässiges Gleichgewicht zwischen Mädchen und Jungs feststellen konnten, wurde insbesondere beim Besuch der 8. Klasse ganz klar, warum es Nasaru unbedingt brauchte: In dieser Klasse sind 10 Jungs und nur noch 5 Mädchen!

Im Anschluss besuchten wir Nasaru und sahen uns alles ganz genau an. Unsere Überraschung war gross als wir sahen, mit wieviel Liebe zum Detail und mit welcher unglaublichen Einfachheit bei maximaler Funktionalität Giorgio dieses Projekt umgesetzt hat. Ein grosses Dankeschön und Bravo an Giorgio von La Nostra Africa! Alle vier Schlafsäle verfügen über ein angrenzendes Badezimmer mit vier Waschbecken und vier kombinierten WCs/Duschen. Derzeit gibt es zwei grosse Wassertanks vor dem Zentrum. Wir werden aber demnächst mit dem Bau eines Brunnens beginnen, vorausgesetzt dass das geologische Gutachten auch eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein von Wasser ergibt. Im Gespräch mit Purity tauchte dann auch sofort ein anderes Problem auf: In der Wahrnehmung der Mädchen bieten diese WCs nicht ausreichend Sichtschutz und Privatsphäre, worauf wir diesen Punkt sofort auf die Agenda für den Nachmittag nahmen.

Am Nachmittag starteten wir mit dem Teambuilding. Wir besuchten die Mädchen in jedem der insgesamt vier Schlafsäle. Dort wurde dann jeweils eine Saalverantwortliche gewählt und die Mädchen wurden aufgefordert, einen Namen für ihr neues Zuhause zu finden. Die Schlafsäle bekamen alle Namen von kenianischen Bergen: Mount Kenya, Mount Atlas, Mount Elgon und Mount Kilimanjaro. Die Mädchen wurden dann aufgefordert als Gruppe eine Zeichnung von «ihrem» Berg zu erstellen. Dann kam das Thema WC zur Sprache und die Mädchen wurden über die geplanten ausserschulischen Aktivitäten informiert. Purity sorgte für eine perfekte Übersetzung, da wir auch hier auf kulturelle Unterschiede stiessen: Die Aktivität für eine gesteigertes Selbstbewusstsein, die unter anderem auch sexuelle Aufklärung, persönliche Hygiene und Steigerung des Selbstwertgefühls umfasst, ist auf dem T-Shirt durch ein Mädchen dargestellt, die ein «Superwoman»-Shirt trägt. Natürlich hatten die Massai-Mädchen noch nie etwas von Superwoman gehört! Sie zogen auf jeden Fall dann alle ganz happy ihre T-Shirts an und gruppierten sich für ein Gruppenbild.

Der Tag für die Mädchen beginnt um 05.00 früh , wobei die für die Schlafsäle verantwortliche Massai ihnen aus der Bibel vorliest. Die Sprache der Massai, das Maa ist eine vom Aussterben bedrohte Sprache, da es nur ganz wenige ins Maa übersetzte Bücher gibt und neue Erfindungen und Begriffe werden direkt aus dem Englischen oder dem Kisuaheli übernommen und nicht ins Maa übersetzt. Eines der wenigen in Maa verfügbaren Bücher ist die Bibel! Im Anschluss daran müssen sie den Schlafsaal und die Bäder putzen bevor es dann ein Frühstück in Form eines Porridges gibt. Die Schule beginnt um 07:30 und endet um 15:30. Dann haben die Mädchen eine Pause bis sie sich dann um das Wasser zum Wäsche waschen anstellen müssen. Nach dem Abendessen kehren sie nochmals in ihre Klassenzimmer zum Lernen zurück und gehen dann gegen 09:30 ins Bett.


Den nächsten Morgen verbrachten wir in den Englischstunden der verschiedenen Klassen und es bewahrheitete sich, was wir bereits befürchtet hatten. Es fehlt an allen Ecken und Enden: Da nicht alle Schüler Schulbücher haben, schreibt der Lehrer die Erklärungen an die Tafel, die dann von den Schülern abgeschrieben werden. Ausserdem beobachteten wir immer wieder Schüler, die verzweifelt ihre Kugelschreiber schüttelten, bis wir feststellten, dass einfach keine Tinte mehr drin war. Bleistifte sind auch eine Mangelware und die Schuluniformen der Kinder und auch ihre Schuhe haben bereits mehrere Generationen an Schulkindern überlebt. Der Englisch-Unterricht ist daher auch sehr langsam und sicherlich nicht nach neuesten pädagogischen Erkenntnissen aufgebaut. Insbesondere aktive Sprachverwendung und Terminologie kommen etwas zu kurz. Die Lehrer sind auch nach wie vor mit einem Stock ausgestattet, den sie auch gerne einsetzen….

Nach diesem Ausflug in die Alltagsrealität eines Massai-Schülers machten wir uns auf zum Meeting mit den Eltern. Da die Eltern aber ihre Kinder zum Vieh hüten brauchen und diese noch in der Schule waren, war die Anzahl der anwesenden Eltern begrenzt. So dauerte das Meeting für uns auch nicht sehr lange, da die Eltern danach noch schulinterne Agenden ohne uns besprechen wollten. Auf jeden Fall spürte man auch unter den Eltern eine sehr positive und wohlwollende Atmosphäre und auch die Bereitschaft, etwas ändern zu wollen. Sie drückten auf jeden Fall ihre enorme Dankbarkeit aus.
Dankbarkeit erwies uns auch Agnes von Iloshon für die Thermoskanne und die Warmhaltebox für ihre Chapati indem sie uns mit süssem Chai – Tee und frischen Chapati überraschte.

Den restlichen Nachmittag verbrachten wir dann mit verschiedenen Ateliers mit den Mädchen. Wir zeigten ihnen das Schneideratelier und das Häkeln und ihre Begeisterung und Motivation waren enorm. Auch beim gemeinsamen Lesen waren sie voller Enthusiasmus bei der Sache. Es war ein sehr intensiver und positiver Nachmittag. Gegen Ende kamen dann die inzwischen vollständig versammelten Eltern noch gemeinsam zu Nasaru, um sich auf ihre Art und Weise würdig zu bedanken. Die Frauen tanzten und sangen und wir bekamen zwei Massai-Umhänge mit «WeCare»-Logo geschenkt.

Zeit zum Abschied nehmen: Früh am nächsten Morgen ging es wieder nach Kitengela mit einem Zwischenstopp in Kajiado,wo wir Kugelschreiber, Bleistifte, Spitzer und Radiergummi für die 350 Schüler der Schule von Iloshon besorgten und auch die Ausstattung der Badezimmer von Nasaru mit Spiegeln und Abfallkübeln komplettierten. Der fähige Buchhändler in Kitengela hatte es tatsächlich geschafft, alle von der Regierung freigegebenen Bücher zu beschaffen. Die Freude bei den Kindern von Agnes und bei Agnes selbst war riesengross. Die Kinder tanzten und sangen und waren ganz aufgeregt. Wir werden sicherlich mit Agnes in Kontakt bleiben!

Zum Abschluss unserer Kurzvisite in der kenianischen Savanne besuchten wir noch den Nairobi National Park, der sich in bequemer 40 – Minuten Distanz (in Abhängigkeit vom Verkehr) vom internationalen Flughafen von Nairobi befindet. Erschöpft, aber zufrieden traten wir voller neuer Eindrücke, Erkenntnisse und Begegnungen unseren Rückflug an mit der Gewissheit: Wir kommen wieder!